Ideologie und Staat

Unsere neue Reihe radikaler Denker, eine Reihe wegweisender Werke der Philosophie und Theorie, ist gerade erschienen, mit wunderschönen neuen Ausgaben von Büchern von Theodor Adorno, Louis Althusser, Nancy Fraser, Jean Baudrillard und Chantal Mouffe.

Unten ist ein Auszug aus Louis Althussers On Ideology.

Der Staat

Die marxistische Tradition ist streng, hier: im Kommunistischen Manifest und im achtzehnten Brumaire (und in allen späteren klassischen Texten, vor allem in Marx ‚Schriften über die Pariser Kommune und Lenins über Staat und Revolution) wird der Staat ausdrücklich als repressiver Apparat verstanden. Der Staat ist eine ‚Maschine‘ der Repression, die es den herrschenden Klassen (im neunzehnten Jahrhundert die bürgerliche Klasse und die ‚Klasse‘ der Großgrundbesitzer) ermöglicht, ihre Herrschaft über die Arbeiterklasse zu sichern, wodurch die erstere in die Lage versetzt wird, die letztere dem Prozess der Erpressung des Mehrwerts (d. h. der kapitalistischen Ausbeutung) zu unterwerfen.

Der Staat ist also zuallererst das, was die marxistischen Klassiker den Staatsapparat genannt haben. Dieser Begriff bedeutet: nicht nur den spezialisierten Apparat (im engeren Sinne), dessen Existenz und Notwendigkeit ich in Bezug auf die Erfordernisse der Rechtspraxis erkannt habe, d.h. die Polizei, die Gerichte, die Gefängnisse; sondern auch die Armee, die (das Proletariat hat diese Erfahrung mit seinem Blut bezahlt) in letzter Instanz direkt als ergänzende repressive Kraft eingreift, wenn die Polizei und ihr spezialisiertes Hilfskorps ‚von den Ereignissen überrollt‘ werden; und über diesem Ensemble das Staatsoberhaupt, die Regierung und die Verwaltung.

In dieser Form hat die marxistisch–leninistische ‚Theorie‘ des Staates den Finger auf den wesentlichen Punkt gerichtet, und es kann nicht für einen Moment davon die Rede sein, die Tatsache abzulehnen, dass dies wirklich der wesentliche Punkt ist. Der Staatsapparat, der den Staat als eine Kraft der repressiven Hinrichtung und Intervention ‚im Interesse der herrschenden Klassen‘ im Klassenkampf der Bourgeoisie und ihrer Verbündeten gegen das Proletariat definiert, ist ganz sicher der Staat und definiert ganz sicher seine grundlegende ‚Funktion‘.

Von der deskriptiven Theorie zur Theorie als solchen

Dennoch ist auch hier, wie ich in Bezug auf die Metapher des Gebäudes (Infrastruktur und Überbau) ausgeführt habe, diese Darstellung des Wesens des Staates noch teilweise deskriptiv.

Da ich oft Gelegenheit haben werde, dieses Adjektiv (beschreibend) zu verwenden, ist ein Wort der Erklärung notwendig, um jede Mehrdeutigkeit zu beseitigen.

Wann immer ich von der Metapher des Gebäudes oder der marxistischen ‚Theorie‘ des Staates sprach und sagte, dass dies beschreibende Begriffe oder Darstellungen ihrer Objekte sind, hatte ich keine kritischen Hintergedanken. Im Gegenteil, ich habe allen Grund zu der Annahme, dass große wissenschaftliche Entdeckungen nicht anders können, als die Phase dessen zu durchlaufen, was ich beschreibende Theorie nennen werde. Dies ist die erste Phase jeder Theorie, zumindest auf dem Gebiet, das uns betrifft (dem der Wissenschaft der sozialen Formationen). Als solche könnte man – und meiner Meinung nach muss man – sich diese Phase als eine für die Entwicklung der Theorie notwendige Übergangsphase vorstellen. Dass es sich um eine Übergangstheorie handelt, ist meinem Ausdruck eingeschrieben: ‚beschreibende Theorie‘, die in ihrer Konjunktion von Begriffen das Äquivalent einer Art ‚Widerspruch‘ offenbart. In der Tat ‚kollidiert‘ der Begriff Theorie in gewissem Maße mit dem Adjektiv ‚beschreibend‘, das ich ihm beigefügt habe. Das bedeutet ganz genau:
(1) daß die ‚beschreibende Theorie‘ wirklich ohne jeden Zweifel der unumkehrbare Anfang der Theorie ist; aber
(2) daß die ‚beschreibende‘ Form, in welcher die Theorie präsentiert wird, eben als Wirkung dieser ‚Gegendiktion‘ eine Entwicklung der Theorie erfordert, welche über die Form der ‚Beschreibung‘ hinausgeht.

Lassen Sie mich diese Idee klarer machen, indem ich zu unserem gegenwärtigen Objekt zurückkehre: dem Staat.

Wenn ich sage, daß die uns zur Verfügung stehende marxistische ‚Theorie‘ des Staates noch zum Teil ‚beschreibend‘ ist, so heißt das in erster Linie, daß diese beschreibende ‚Theorie‘ zweifelsohne gerade der Anfang der marxistischen Staatstheorie ist, und daß dieser Anfang uns den wesentlichen Punkt, d.h. das entscheidende Prinzip jeder späteren Entwicklung der Theorie gibt.

In der Tat werde ich die deskriptive Theorie des Staates als richtig bezeichnen, da es durchaus möglich ist, die überwiegende Mehrheit der Tatsachen auf dem Gebiet, mit dem sie verbunden ist, mit der Definition ihres Objekts in Übereinstimmung zu bringen. So wirft die Definition des Staates als Klassenstaat, die im repressiven Staatsapparat existiert, ein glänzendes Licht auf alle Tatsachen, die in den verschiedenen Repressionsordnungen unabhängig von ihrem Bereich zu beobachten sind: von den Massakern vom Juni 1848 und der Pariser Kommune, vom Blutigen Sonntag, Mai 1905 in Petrograd, vom Widerstand, von Charonne usw. Sie wirft ein Licht auf alle direkten oder indirekten Formen der Ausbeutung und Vernichtung der Volksmassen (imperialistische Kriege); sie wirft ein Licht auf jene subtile alltägliche Herrschaft, unter der man zum Beispiel in den Formen der politischen Demokratie sehen kann, was Lenin nach Marx die Diktatur der Bourgeoisie nannte.

Und doch stellt die deskriptive Staatstheorie eine Phase in der Konstitution der Theorie dar, die selbst die ‚Aufhebung‘ dieser Phase fordert. Denn es ist klar, daß, wenn die fragliche Definition uns wirklich die Mittel gibt, die Tatsachen der Unterdrückung zu identifizieren und zu erkennen, indem wir sie mit dem Staat in Beziehung setzen, der als repressiver Staatsapparat gedacht ist, diese ‚Wechselbeziehung‘ eine ganz besondere Art von Offensichtlichkeit hervorruft, über die ich gleich etwas zu sagen haben werde: Ja, so ist es, das ist wirklich wahr! Und die Anhäufung von Tatsachen innerhalb der Definition des Staates mag Beispiele multiplizieren, aber sie bringt die Definition des Staates, d.h. die wissenschaftliche Theorie des Staates, nicht wirklich voran. Jede deskriptive Theorie läuft also Gefahr, die Entwicklung der Theorie zu ‚blockieren‘, und doch ist diese Entwicklung wesentlich.

Deshalb denke ich, dass, um diese beschreibende Theorie in die Theorie als solche zu entwickeln, d.h. um die Mechanismen des Staates in seiner Funktionsweise weiter zu verstehen, halte ich es für unabdingbar, der klassischen Definition des Staates als Staatsapparat etwas hinzuzufügen.

Das Wesentliche der marxistischen Staatstheorie

Lassen Sie mich zunächst einen wichtigen Punkt klarstellen: Der Staat (und seine Existenz in seinem Apparat) hat keine Bedeutung außer als Funktion der Staatsmacht. Der ganze politische Klassenkampf dreht sich um den Staat. Damit meine ich rund um den Besitz, d.h. die Beschlagnahme und Erhaltung der Staatsmacht durch eine bestimmte Klasse oder durch ein Bündnis zwischen Klassen oder Klassenfraktionen. Diese erste Klarstellung verpflichtet mich, zwischen der Staatsmacht (Erhaltung der Staatsmacht oder Ergreifung der Staatsmacht), dem Ziel des politischen Klassenkampfes einerseits und dem Staatsapparat andererseits zu unterscheiden.

Wir wissen, dass der Staatsapparat überleben kann, wie die bürgerlichen Revolutionen im Frankreich des neunzehnten Jahrhunderts (1830, 1848), die Staatsstreiche (2. Dezember, Mai 1958), der Zusammenbruch des Staates (der Fall des Imperiums 1870, der Dritten Republik 1940) oder der politische Aufstieg des Kleinbürgertums (1890-95 in Frankreich) usw. beweisen., ohne dass der Staatsapparat betroffen oder modifiziert wird: Er kann politische Ereignisse überleben, die den Besitz der Staatsmacht beeinträchtigen.

Auch nach einer sozialen Revolution wie der von 1917 überlebte ein großer Teil des Staatsapparates nach der Machtergreifung durch das Bündnis des Proletariats und der Kleinbauernschaft: Lenin wiederholte die Tatsache immer wieder.

Es ist möglich, die Unterscheidung zwischen Staatsmacht und Staatsapparat als Teil der ‚marxistischen Theorie‘ des Staates zu beschreiben, die seit Marx’achtzehntem Brumaire und den Klassenkämpfen in Frankreich explizit vorhanden ist.

Um die ‚marxistische Staatstheorie‘ in diesem Punkt zusammenzufassen, kann man sagen, dass die marxistischen Klassiker immer behauptet haben, dass (1) der Staat der repressive Staatsapparat ist, (2) Staatsmacht und Staatsapparat unterschieden werden müssen, (3) das Ziel des Klassenkampfes die Staatsmacht betrifft und folglich die Verwendung des Staatsapparats durch die Klassen (oder Klassenbündnisse oder Klassenfraktionen), die die Staatsmacht in Abhängigkeit von ihren Klassenzielen innehaben, und (4) das Proletariat die Staatsmacht ergreifen muss, um sie zu zerstören der bestehende bürgerliche Staatsapparat und, ersetzen Sie ihn in einer ersten Phase durch einen ganz anderen, proletarischen Staatsapparat, setzen Sie dann in späteren Phasen einen radikalen Prozess in Gang, den der Zerstörung des Staates (das Ende der Staatsmacht, das Ende jedes Staatsapparates).

In dieser Perspektive ist daher das, was ich der ‚marxistischen Theorie‘ des Staates hinzufügen möchte, bereits in so vielen Worten enthalten. Aber es scheint mir, dass diese Theorie auch mit dieser Ergänzung noch teilweise beschreibend ist, obwohl sie jetzt komplexe und differentielle Elemente enthält, deren Funktionsweise und Wirkung nicht ohne Rückgriff auf eine weitere ergänzende theoretische Entwicklung verstanden werden kann.

Die staatsideologischen Apparate

Was also der ‚marxistischen Theorie‘ des Staates hinzugefügt werden muss, ist etwas anderes.

Hier müssen wir vorsichtig auf einem Terrain voranschreiten, das die marxistischen Klassiker in der Tat lange vor uns betraten, ohne jedoch die durch ihre Erfahrungen und Verfahren implizierten dekodierenden Fortschritte in theoretischer Form systematisiert zu haben. Ihre Erfahrungen und Verfahren beschränkten sich in der Tat im Wesentlichen auf das Terrain der politischen Praxis.

In der Tat, d.h. in ihrer politischen Praxis behandelten die marxistischen Klassiker den Staat als eine komplexere Realität als die Definition, die in der ‚marxistischen Staatstheorie‘ gegeben ist, selbst wenn sie ergänzt wurde, wie ich gerade gesagt habe. Sie erkannten diese Komplexität in ihrer Praxis, drückten sie aber nicht in einer entsprechenden Theorie aus.

Ich möchte versuchen, diese entsprechende Theorie sehr schematisch zu skizzieren. Zu diesem Zweck schlage ich die folgende These vor.

Um die Staatstheorie voranzubringen, ist es unabdingbar, nicht nur die Unterscheidung zwischen Staatsmacht und Staatsapparat zu berücksichtigen, sondern auch eine andere Realität, die eindeutig auf der Seite des (repressiven) Staatsapparates steht, aber nicht mit ihm verwechselt werden darf. Ich nenne diese Wirklichkeit nach ihrem Begriff: die ideologischen Staatsapparate.

Was sind die ideologischen Staatsapparate (ISAs)?

Sie dürfen nicht mit dem (repressiven) Staatsapparat verwechselt werden. Denken Sie daran, dass in der marxistischen Theorie der Staatsapparat (SA) enthält: die Regierung, die Verwaltung, die Armee, die Polizei, die Gerichte, die Gefängnisse usw. Sie bilden das, was ich in Zukunft den repressiven Staatsapparat nennen werde. Repressiv legt nahe, dass der betreffende Staatsapparat – zumindest letztendlich – ‚durch Gewalt funktioniert‘ (da Repression, z. B. administrative Repression, nicht physische Formen annehmen kann).

Ich werde ideologische Staatsapparate eine gewisse Anzahl von Realitäten nennen, die sich dem unmittelbaren Beobachter in Form von verschiedenen und spezialisierten Institutionen präsentieren. Ich schlage eine empirische Liste davon vor, die natürlich eingehend untersucht, getestet, korrigiert und neu organisiert werden muss. Mit allen Vorbehalten, die dieses Erfordernis mit sich bringt, können wir im Augenblick die folgenden In stitutionen als ideologische Staatsapparate betrachten (die Reihenfolge, in der ich sie aufgelistet habe, hat keine besondere Bedeutung):
– die religiöse ISA (das System der verschiedenen Kirchen),
– die erzieherische ISA (das System der verschiedenen öffentlichen und privaten ‚Schulen‘),
– die Familie ISA,
– die rechtliche ISA,
– die politische ISA (das politische System, einschließlich der verschiedenen Parteien),
– die Gewerkschaft ISA,
– die Kommunikation ISA (Presse, Radio und Fernsehen, etc.),
– das kulturelle Erbe (Literatur, Kunst, Sport usw.).
Ich habe gesagt, dass die ISAs nicht mit dem (repressiven) Staatsapparat verwechselt werden dürfen. Worin besteht der Unterschied?

In einem ersten Moment ist klar, dass es zwar einen (repressiven) Staatsapparat gibt, aber eine Vielzahl ideologischer Staatsapparate. Selbst unter der Voraussetzung, dass es existiert, ist die Einheit, die diese Pluralität von ISAs als Körper ausmacht, nicht sofort sichtbar.

Als zweites Moment ist klar, dass, während der – vereinte – (repressive) Staatsapparat ganz dem puhlischen Bereich angehört, der weitaus größere Teil der ideologischen Staatsapparate (in ihrer scheinbaren Zerstreuung) im Gegenteil dem privaten Bereich angehört. Kirchen, Parteien, Gewerkschaften, Familien, einige Schulen, die meisten Zeitungen, kulturelle Unternehmungen usw., etc., sind privat.

Wir können die erste Beobachtung für den Moment ignorieren. Aber jemand wird die zweite in Frage stellen und mich fragen, mit welchem Recht ich ideologische Staatsapparate betrachte, Institutionen, die größtenteils keinen öffentlichen Status haben, sondern ganz einfach private Institutionen sind. Als bewusster Marxist hat Gramsci diesen Einwand bereits in einem Satz vorweggenommen. Die Unterscheidung zwischen Öffentlichem und Privatem ist eine Unterscheidung innerhalb des bürgerlichen Rechts und gilt in den (untergeordneten) Bereichen, in denen das bürgerliche Recht seine ‚Autorität‘ ausübt. Die Domäne des Staates entgeht ihm, weil dieser ‚über dem Gesetz‘ steht: Der Staat, der der Staat der herrschenden Klasse ist, ist weder öffentlich noch privat; im Gegenteil, er ist die Vorbedingung für jede Unterscheidung zwischen öffentlich und privat. Dasselbe kann vom Ausgangspunkt unserer staatsideologischen Apparate aus gesagt werden. Es ist unwichtig, ob die Institutionen, in denen sie realisiert werden, ‚öffentlich‘ oder ‚privat‘ sind. Was zählt, ist, wie sie funktionieren. Private Institutionen können durchaus als ideologische Staatsapparate ‚funktionieren‘. Eine einigermaßen gründliche Analyse eines der ISAs beweist dies.

Aber nun zum Wesentlichen. Was die ISAs vom (repressiven) Staatsapparat unterscheidet, ist folgender grundsätzlicher Unterschied: Der repressive Staatsapparat funktioniert ‚durch Gewalt‘, während die ideologischen Staatsapparate ‚durch Ideologie‘ funktionieren.

Ich kann die Dinge klären, indem ich diese Unterscheidung korrigiere. Ich möchte vielmehr sagen, daß jeder Staatsapparat, ob Re pressiv oder ideologisch, sowohl durch Gewalt als auch durch Ideologie ‚funktioniert‘, jedoch mit einer sehr wichtigen Unterscheidung, die es zwingend notwendig macht, die ideologischen Staatsapparate nicht mit dem (repressiven) Staatsapparat zu verwechseln.

Dies ist die Tatsache, dass der (repressive) Staatsapparat massiv und überwiegend durch Repression (einschließlich physischer Repression) funktioniert, während er sekundär durch Ideologie funktioniert. (Es gibt keinen rein repressiven Apparat.) Zum Beispiel funktionieren Armee und Polizei auch ideologisch, sowohl um ihren eigenen Zusammenhalt und ihre Reproduktion zu gewährleisten, als auch in den ‚Werten‘, die sie nach außen vertreten.

In gleicher Weise, aber umgekehrt, ist es wesentlich zu sagen, dass die ideologischen Staatsapparate ihrerseits massiv und überwiegend durch Ideologie funktionieren, aber sie funktionieren auch sekundär durch Unterdrückung, auch wenn dies letztendlich, aber nur letztendlich, sehr betont und verborgen ist, sogar symbolisch. (Es gibt keinen rein ideologischen Apparat.) So wenden Schulen und Kirchen geeignete Methoden der Bestrafung, Vertreibung, Selektion usw. an., um nicht nur ihre Hirten, sondern auch ihre Herden zu ‚disziplinieren‘. Das gleiche gilt für die Familie…. Gleiches gilt für den kulturellen IS-Apparat (unter anderem Zensur) usw.

Ist hinzuzufügen, dass diese Bestimmung des doppelten ‚Funktionierens‘ (überwiegend, sekundär) durch Repression und Ideologie, je nachdem, ob es sich um den (repressiven) Staatsapparat oder die ideologischen Staatsapparate handelt, deutlich macht, dass aus dem Zusammenspiel des (repressiven) Staatsapparates und der ideologischen Staatsapparate sehr subtile explizite oder stillschweigende Kombinationen gewebt werden können? Der Alltag liefert uns dafür unzählige Beispiele, aber sie müssen im Detail studiert werden, wenn wir über diese bloße Beobachtung hinausgehen wollen.

Nichtsdestoweniger führt uns diese Bemerkung zu einem Verständnis dessen, was die Einheit des scheinbar getrennten Körpers der ISAs ausmacht. Wenn die ISAs massiv und überwiegend durch Ideologie ‚funktionieren‘, dann ist das, was ihre Verschiedenheit eint, genau diese Funktionsweise, insofern als die Ideologie, durch die sie funktionieren, trotz ·ihrer Verschiedenheit und ihrer Widersprüche tatsächlich immer unter der herrschenden Ideologie vereint ist, die die Ideologie der ‚herrschenden Klasse‘ ist. Angesichts der Tatsache, dass die ‚herrschende Klasse‘ im Prinzip die Staatsgewalt innehat (offen oder häufiger durch Klassenbündnisse oder Klassenfraktionen) und daher über den (repressiven) Staatsapparat verfügt, können wir akzeptieren, dass dieselbe herrschende Klasse in den ideologischen Staatsapparaten insofern tätig ist, als es letztlich die herrschende Ideologie ist, die sich in den ideologischen Staatsapparaten gerade in ihren Widersprüchen verwirklicht. Natürlich ist es etwas ganz anderes, durch Gesetze und Dekrete im (repressiven) Staat Ap paratus zu handeln und durch die Vermittlung der herrschenden Ideologie in den ideologischen Staatsapparaten zu ‚handeln‘. Wir müssen auf die Details dieses Unterschieds eingehen – aber er kann die Realität einer tiefen Identität nicht verbergen. Meines Wissens kann keine Klasse die Staatsmacht über einen langen Zeitraum halten, ohne gleichzeitig ihre Hegemonie über und in den staatlichen ideologischen Apparaten auszuüben. Ich brauche nur ein Beispiel und einen Beweis dafür: Lenins quälende Sorge, den pädagogisch-ideologischen Staatsapparat (unter anderem) zu revolutionieren, um es dem Sowjetproletariat, das die Staatsmacht ergriffen hatte, einfach zu ermöglichen, die Zukunft der Diktatur des Proletariats und den Übergang zum Sozialismus zu sichern.

Diese letzte Bemerkung versetzt uns in die Lage zu verstehen, dass die ideologischen Staatsapparate nicht nur der Scheiterhaufen, sondern auch der Schauplatz des Klassenkampfes und oft erbitterter Formen des Klassenkampfes sein können. Die Klasse (oder das Klassenbündnis) an der Macht kann in den ISAs nicht so leicht das Gesetz festlegen wie im (repressiven) Staatsapparat, nicht nur, weil die ehemaligen herrschenden Klassen dort lange Zeit starke Positionen behalten können, sondern auch, weil der Widerstand der ausgebeuteten Klassen Mittel und Gelegenheiten finden kann, sich dort auszudrücken, entweder durch die Ausnutzung ihrer Widersprüche oder durch die Eroberung von Kampfpositionen in ihnen im Kampf.

Lassen Sie mich meine Kommentare durchgehen.

Wenn die These, die ich vorgeschlagen habe, begründet ist, führt sie mich zurück zur klassischen marxistischen Staatstheorie, während sie sie in einem Punkt präzisiert. Ich argumentiere, dass es notwendig ist, zwischen Staatsmacht (und ihrem Besitz) zu unterscheiden . . .) einerseits und der Staatsapparat andererseits. Aber ich füge hinzu, dass der Staatsapparat zwei Körper enthält: den Körper der Institutionen, die einerseits den repressiven Staatsapparat repräsentieren, und den Körper der Institutionen, die andererseits den Körper der ideologischen Staatsapparate repräsentieren.

Wenn dies aber der Fall ist, so muß man sich, selbst im sehr zusammenfassenden Zustand meiner Vorschläge, folgende Frage stellen: Was genau ist das Ausmaß der Rolle der ideologischen Staatsapparate? Worauf basiert ihre Bedeutung? Mit anderen Worten: Womit korrespondiert die ‚Funktion‘ dieser ideologischen Staatsapparate, die nicht durch Repression, sondern durch Ideologie funktionieren?

Anmerkungen

Siehe S. 158 unten, Zur Ideologie.

Meines Wissens ist Gramsci der einzige, der auf dem Weg, den ich gehe, eine Strecke zurückgelegt hat. Er hatte die ‚bemerkenswerte‘ Idee, dass der Staat nicht auf den (repressiven) Staatsapparat reduziert werden könne, sondern, wie er es ausdrückte, eine gewisse Anzahl von Institutionen aus der ‚Zivilgesellschaft‘ einschließe: die Kirche, die Schulen, die Gewerkschaften usw. Leider hat Gramsci seine Institutionen nicht systematisiert, die im Zustand akuter, aber fragmentarischer Notizen blieben (vgl. Gramsci, Auswahl aus den Gefängnisheften, International Publishers, 1971, S. 12., 259, 260-3; siehe auch den Brief an Tatjana Schucht, 7. September 1931, in Lettre del Carcere, Einaudi, 1968, S. 479. Englischsprachige Übersetzung in Vorbereitung.

Die Familie hat offensichtlich andere ‚Funktionen‘ als die einer ISA. Sie greift in die Reproduktion der Arbeitskraft ein. In verschiedenen Produktionsweisen ist es die Einheit der Produktion und / oder die Einheit des Verbrauchs.

Das ‚Gesetz‘ gehört sowohl zum (repressiven) Staatsapparat als auch zum System der ISAs.

In einem erbärmlichen Text aus dem Jahr 1937 erzählt Krupskaja die Geschichte von Lenins verzweifelten Bemühungen und von dem, was sie als sein Scheitern ansieht.

Was ich in diesen wenigen kurzen Worten über den Klassenkampf in den ISAs gesagt habe, ist offensichtlich weit davon entfernt, die Frage des Klassenkampfes zu erschöpfen.

Um sich dieser Frage zu nähern, müssen zwei Prinzipien beachtet werden:

Das erste Prinzip formulierte Marx im Vorwort zu einem Beitrag zur Kritik der Politischen Ökonomie: Bei der Betrachtung solcher Umwandlungen sollte immer unterschieden werden zwischen der materiellen Umwandlung der ökonomischen Produktionsbedingungen, die mit der Genauigkeit der Naturwissenschaft bestimmt werden kann, und den rechtlichen, politischen, religiösen, ästhetischen oder philosophischen – kurz ideologischen Formen, in denen sich die Menschen dieses Konflikts bewusst werden und ihn ausfechten. Der Klassenkampf wird also in ideologischen Formen ausgedrückt und ausgeübt, also auch in den ideologischen Formen der ISAs. Aber der Klassenkampf geht weit über diese Formen hinaus, und weil er über sie hinausgeht, kann der Kampf der ausgebeuteten Klassen auch in den Formen der ISAs ausgeübt werden und so die Waffe der Ideologie gegen die herrschenden Klassen wenden.

Dies kraft des zweiten Prinzips: Der Klassenkampf erstreckt sich über die ISAs hinaus, weil er anderswo verwurzelt ist als in der Ideologie, in der Infrastruktur, in den Produktionsverhältnissen, die Ausbeutungsverhältnisse sind und die Grundlage für Klassenverhältnisse bilden.

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